Florenz, 6. September 1975. Am runden Tisch der Festa dell’Unità verteidigt Pasolini seine Thesen zum Konsumfaschismus. Doch etwas an jenem Abend lässt seine Rede aus ihren pessimistischen Bahnen ausbrechen. Überwältigt von der Präsenz zahlreicher Jugendlicher, »Träger einer lebendigen Kultur der Freiheit«, äußert er die Vermutung, dass das negative Bild, das er sich in den letzten Jahren von der Gegenwart gemacht hatte, widerlegt werden könne.
In der Bereitschaft Pasolinis, sich und seine Thesen öffentlich zur Diskussion zu stellen, kommt ein dialektisches Moment zur Geltung, das auch in den düstersten seiner Reden zur anthropologischen Mutation wie ein Irrlicht aufscheint. Der Literaturwissenschaftler Fabien Vitali zeigt in seinem Essay, dass Pasolinis Kulturkritik nicht allein auf der Wortebene zu begreifen ist, sondern im Rahmen einer Praxis des Dialogs und der Erfahrung des Anderen. Als solche liest Vitali sie neu: als performative Geste des Widerspruchs, als »Brüskierung festgefahrener Denkordnungen« – und stellt die Frage nach den Möglichkeiten eines anderen gesellschaftlichen Selbst.
Erschienen:
Juli 2025
Autor:innen: Pier Paolo Pasolini / Fabien Vitali
Pier Paolo Pasolini (1922–1975), italienischer Dichter und Regisseur von beispielloser Sensibilität für die politische Relevanz ästhetischer Fragen. Als stets kontrovers diskutierter Künstler setzte er sich bewusst in Szene – mit den Mitteln und dennoch als Antagonist einer alles bestim-menden Kulturindustrie. Trotz seines frühen Parteiausschlusses blieb Pasolini Anhänger des PCI, den er – oft im Streit mit der Parteiführung – als Garanten eines gesellschaftlichen Anderen sah. Seine „skandalösen“ Thesen zum Konsumfaschismus klingen bis heute im öffentlichen Diskurs nach – als populäre und gleichsam unbequeme Figuren einer kulturkritischen Urszene.
Fabien Vitali (*1978) promovierte an der Scuola Normale Superiore di Pisa zum essayistischen Werk von Giuseppe Tomasi di Lampedusa. Er lehrte an den Universitäten München, Hamburg und Kiel. Seine zahlreichen Arbeiten zu Pasolini umfassen die preisgekrönte Übersetzung und Kommentierung der Gespräche Pasolinis mit dem jüdischen Filmjournalisten Gideon Bachmann (Pasolini-Bachmann. Gespräche 1963-1975, Hamburg, 2022). Zuletzt hat er die Dialoge Pasolinis mit den Leser:innen der kommunistischen Illustrierten »Vie Nuove« aus den 60ern ins Deutsche übertragen (Berlin, Wagenbach, 2025).
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04. September 2025
Das folgenden PDF enthält die erste Edition in italienischer Sprache von Pasolinis Redebeitrag auf der Festa dell’Unità vom 6. September 1975 in Florenz. Sie ist erschienen in der halbjährlichen Zeitschrift “Critica marxista” (2020, September-Dezember).
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Fabien Vitali –
04. September 2025
Noch sein bis heute immer wieder einseitig diskutiertes Schmähgedicht, Die KPI an die Jugend!, in dem [Pasolini] seine vermeintliche Verachtung gegenüber der bürgerlichen Papa-Söhnchen-Revolte verdichtet, birgt, wie Massimo Recalcati schrieb, eine einzigartige pars construens… (Der Zeit widersprechen, S. 63).
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Fabien Vitali –
04. September 2025
[D]ie Stimmung, aus der sich [Pasolinis] Beitrag an jenem spätsommerlichen Abend in Florenz entfaltet [lässt sich anhand des Texts zum Redebeitrag nur erahnen]. Sie prägt den auffällig offenen, nie introvertierten, den Diskussionspartnern und Gästen zugewandten Ausdruck, der auf gegenseitiges Vertrauen in den Dialog, in die Gemeinschaftlichkeit schließen lässt. (Der Zeit widersprechen, S. 49).
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04. September 2025
Am Abend des 6. Septembers 1975 war Pasolini zusammen mit Cesare Luporini sowie Amos Cecchi, zwei marxistischen Philosophen, zu Gast am runden Tisch der traditionellen Festa dell’Unità im Park Le Cascine in Florenz. (Der Zeit widersprechen, S. 47).
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