Zu einem Artikel von Francesco Cantaluccio
Fabien Vitali – 04. September 2025[D]ie Stimmung, aus der sich [Pasolinis] Beitrag an jenem spätsommerlichen Abend in Florenz entfaltet [lässt sich anhand des Texts zum Redebeitrag nur erahnen]. Sie prägt den auffällig offenen, nie introvertierten, den Diskussionspartnern und Gästen zugewandten Ausdruck, der auf gegenseitiges Vertrauen in den Dialog, in die Gemeinschaftlichkeit schließen lässt. (Der Zeit widersprechen, S. 49).
Die hier, möglicherweise etwas verklärt, als idealtypisch beschriebene Situation, die Pasolinis einzigartige Bereitschaft zum Dialog hervorstreicht, wird indirekt bestätigt von einem Bericht in einem Onlineartikel von Francesco Cantaluccio (*1955), Essayist und Herausgeber, der an jenen Abend vom 6. September in Florenz dem runden Tisch als einer der zahlreichen jungen Zuhörer:innen anwesend war. Cantaluccio nimmt jene erste und einzige persönliche Begegnung mit Pasolini zum Anlass für eine – vermutlich zum 40. Todestag verfassten – Rundumbetrachtung von dessen Werk und kulturkritischen Positionen.
Der Ertrag seines Essays geht, wie im Umgang mit Pasolini oft geschieht, in der völligen Unverhältnismäßigkeit des Anliegens unter, werden darin doch zu viele Punkte, am Beispiel von historisch und künstlerisch zu unterschiedlichen Arbeiten beleuchtet. Sein verwickeltes, stark idiosynkratisches und gleichsam stereotypes Porträt von Pasolini, enthält dennoch einige interessante Anregungen. Dazu gehören zweifelsohne seine einleitenden Erinnerungen an die Festa dell’Unità, zu welcher er auch als zukünftiger Student von Cesare Luporini, der zusammen mit Pasolini am runden Tisch saß, gekommen war.
Einmal abgesehen von den inhaltlichen Einschätzungen zum Redebeitrag als »apokalyptisch und provokativ«, die sich, gemessen am Text, nicht als zwingend, sicher nicht als erschöpfend erweisen, so faszinieren dennoch die psychologischen Nuancen in Cantaluccios Beschreibung von Pasolinis persönlichem Auftritt. Bekräftigt sein Bericht einerseits die positive Vorstellung von Pasolinis Gesprächsbereitschaft, insbesondere gegenüber jungen Kommunist:innen (»Nach der Debatte, blieb ich zusammen mit einer Gruppe Jugendlicher, um ihn [Pasolini] mit Fragen herauszufordern und seine Thesen anzufechten«), so lässt er andererseits auch erahnen, welche psychologisch komplexen Bedingungen dieser Bereitschaft aneigneten: »Er erschien mir sanft [it. »dolce«], fragil, apodiktisch und aggressiv«. Die Reihe von Attributen, eine Art inverser Klimax, reflektiert zweifelsohne das im öffentlichen Diskurs inzwischen weitgehend topische, nur noch selten aussagekräftige Bild Pasolinis als »widersprüchlich und unversöhnlich« (so beispielsweise der Rückseitentext der Pasolini-Jubiläumsanthologie von Wagenbach In persona). Nun, der axiologisch negative Endwert (»aggressiv«) in Cantaluccios Adjektivserie nimmt vorweg, was in seinem Porträt zu überwiegen scheint – eine Art Ressentiment gegenüber Pasolini als einem politischen Verräter (»seine Haltungen und Launen sind genau jene, welche den Zerfall der Linken repräsentieren«), der auch nicht davor zurückschreckte, die 68er mit demagogischen Reaktionen zu traktieren (der Verweis gilt, einmal mehr, dem kontroversen Gedicht Der KPI an die Jugend!, vgl. Der Zeit widersprechen, S. 63; und hier, Marginalia 3).
Cantaluccios stellenweise arg überhebliche Pasolini-Kritik soll hier nicht weiter erörtert werde, bietet sie doch weder unter dem Aspekt der literarischen oder politischen Argumentation noch unter jenem des polemischen Stils besonders nennenswerte Anhaltspunkte, zumindest nicht im Vergleich zu Franco Fortinis Attraverso Pasolini (Einaudi 1990; neue Ausgabe bei Quodlibet), einer Sammlung durch und durch aufschlussreicher Auseinandersetzungen mit dem Werk und der Person Pasolinis. Interessant bleibt indes die Beobachtung, mit der Cantaluccio den konkreten Moment des Kontakts im Dialog mit Pasolini schildert. So will er Pasolini nach der Veranstaltung persönlich angesprochen und kritisiert haben für seine poetische Definition der PCI als »reinem Land in einem schmutzigen Land« (vgl. Der Zeit widersprechen, S. 22-23 und S. 56, Anm. 17): »Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass ich nicht einverstanden, ja dass mir jene heilsbringende Vorstellung der politischen Partei zutiefst zuwider war, auch weil – wie ich anmerkte und ihm so eine Art höhnisches Lächeln [it.: ghigno] abgewann – es genau dieselbe Vorstellung war, die auch mein Vater besaß«.
Cantaluccio lässt seine Anekdot sowie die darin sich aufnötigenden Fragen in der Schwebe. Es ist unklar, ob es sich um eine bewusste Entscheidung handelte oder er doch viel eher für sich beanspruchte, die Bedeutung der geschilderten Begebenheit erkläre sich von selbst. In Wirklichkeit bleibt sie wunderbar uneindeutig. Eine mögliche Interpretation wäre die folgende: Die Anekdote bestätigt, dass Pasolini gegenüber den Jugendlichen letztlich eben doch in einer Position »höhnischer« Überheblichkeit verharrte, die entsprechenden Versuche der Wiederannäherung somit opportunistische Zurschaustellungen waren (wie beispielsweise auch Pasquale Voza meint, vgl. Der Zeit widersprechen, S. 75)? Eine andere Interpretation hingegen lautet folgendermaßen: Das von Cantaluccio als »höhnisch« taxierte Lächeln ist eine mögliche, ja vielleicht auch nachvollziehbare Reaktion Pasolinis, ein Zeichen der Enttäuschung auf die verdächtige Selbstsicherheit der nachfolgenden Generationen und ihrer Diskurse gegenüber den von den realen und symbolischen Vätern gestellten Problemen.
Dass Cantaluccio in seinem ausschweifenden Porträt so breitbeinig auf Pasolinis Irrtümern beharrt, zu keinem Moment auf mögliche Fehleinschätzungen seiner selbst oder seiner Altersgenossen zu sprechen kommt, lässt vermuten, dass er selbst von der ersten Interpretation überzeugt ist, während die zweite zutrifft.
Cantaluccio, Ripensando Pasolini / PDF